Um gute Architektur für Geflüchtete zu entwerfen, ist es zwingend nötig, sich mit der aktuellen rechtlichen und tatsächlichen Unterbringungssituation, sowie mit den Geflüchteten selbst zu beschäftigen. Architektur dient immer dem Menschen und gute Ideen können nur dann Früchte tragen, wenn sie sich an den Verfügbaren Fakten orientieren.
Eine in diesem Jahr gemeinsam vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) durchgeführte Befragung von Geflüchteten geht unter anderem gezielt auf die Unterbringung ein und erlaubt Einblicke in die Wohnsituation aus Sicht der Geflüchteten.
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat ebenfalls 2016 einen Policy Brief mit dem Thema Ankommen und Bleiben – Wohnsitzauflagen als integrationsfördernde Maßnahme? veröffentlicht, in dem er das neue Integrationsgesetz (vom Juli 2016) untersucht und die Frage aufwirft, ob eine Wohnsitzauflage, wie vorgesehen, die Integration von Migranten fördern kann oder nicht. Dazu wird untersucht, welche Standortfaktoren für eine gute Integrationsvoraussetzung nötig sind.
Eine Zusammenfassung dieser beiden Arbeiten mit Hinblick auf die Unterbringung der Geflüchteten liefert interessante Hinweise und Handlungsempfehlungen, nicht nur für Politiker, sondern vor allem auch für Architekten, die sich mit der Wohnraumbeschaffung für Geflüchtete auseinandersetzen.
HINTERGRÜNDE
Es wurden detaillierte Daten zur Einschätzung der Wohnsituation durch die Geflüchteten erhoben, da davon ausgegangen wird, dass das Wohnen ein Schlüsselfaktor für Integration und soziale Teilhabe ist. Die eigene Wohnung ist ein Ort, der im Idealfall Schutz, Stabilität und die Möglichkeit bietet, selbst über das Maß sozialen Kontakts zu entscheiden, das man haben möchte.
In der Regel ist vorgesehen, dass Geflüchtete, die sich im Asylerfahren befinden, in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, je nach Ressourcen der zuständigen Gemeinde können Geflüchtete im Verfahren aber auch dezentral untergebracht werden.
Nach dem neuen Integrationsgesetz können nun die Landesbehörden Geflüchteten, die soziale Leistungen beziehen, drei Jahre lang einen bestimmten Wohnort innerhalb des Landes zuweisen oder den Zuzug in bestimmte Orte untersagen. Diese Entscheidungen müssen allerdings integrationspolitisch begründet sein.
ERGEBNISSE BEFRAGUNG
Die zweite hier behandelte Arbeit ist eine umfangreiche Befragung von derzeit in Deutschland lebenden Geflüchteten zu Themen wie: Motive und Kosten der Flucht, Bildung und Sprache, Werte und Wohlbefinden. In dieser Zusammenfassung wird nur auf die Aspekte der Unterbringung eingegangen. Die aus Sicht von Architekten und Stadtplanern relevantesten Erkenntnisse aus der Befragung von IAB, BAMF und SOEP sind:
- Geflüchtete leben derzeit etwa zur Hälfte in einer privaten Wohnung einem privaten Haus (53 %) und zur Hälfte in einer Gemeinschaftsunterkunft (47 %). Geflüchtete im Verfahren sind etwas häufiger in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht (60 %) als anerkannte Geflüchtete, von denen der Großteil in einer privaten Unterkunft wohnt (71 %).
- 75% der privat Untergebrachten empfinden die Wohnsituation als „positiv“ oder „ganz und gar zufriedenstellend“; unter den Befragten, die in Gemeinschaftsunterkünften lebten, waren dies lediglich 43%.
- Als verbesserungswürdig wurde von beiden Gruppen das Freizeitangebot
- Die gravierendsten Unterschiede zwischen Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften und denen in privaten Unterkünften ergaben sich in Hinblick auf die Zufriedenheit mit der Privatsphäre und dem Geräuschpegel.
- Der Großteil der Befragten fühlte sich bei der Ankunft und zum Befragungszeitpunkt zumindest überwiegend willkommen. Über die Aufenthaltsdauer der Geflüchteten, d.h. von der Ankunft bis zum Befragungszeitpunkt, nahm das Willkommensgefühl der Geflüchteten mit Ausnahme der Einreisekohorte von 2013 tendenziell ab. Dieses Gefühl spielt bei der Unterbringung eine wichtige Rolle, denn es korreliert mit dem Wunsch, langfristig in Deutschland zu bleiben.
- Etwa 95 Prozent der Befragten gaben an, für immer in Deutschland bleiben zu wollen. Während von denjenigen, die sich voll und ganz willkommen fühlten, etwa 97 Prozent für immer in Deutschland bleiben wollten, beabsichtigten dies nur etwa 88 Prozent derjenigen, die sich eher nicht willkommen fühlten.
ERGEBNISSE POLICY PAPER
Das Paper des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration beschäftigt sich insbesondere mit der Zwangs-Wohnortszuweisung als politisches Mittel für eine verbesserte Integration. Um die Behauptung, dadurch könne der Staat besser planen und Geflüchteten für jene Gemeinden eine Wohnsitzauflage erteilen, die die besten Bedingungen bieten, untersuchte der Sachverständigenrat die nötigen Rahmenbedingungen für eine gute Integration. Die wichtigsten Ergebnisse der Recherche:
- Nach Ende ihrer Residenzpflicht zieht es viele anerkannte Flüchtlinge in westdeutsche Großstädte und Ballungszentren, was mit den dortigen Arbeits- und Bildungsangeboten, der Infrastruktur und eventuell bereits bestehenden ethnischen Gemeinden vor Ort zusammenhängt.
- Die oft schlechte Infrastruktur in ländlichen Gebieten ist häufig Verantwortlich für den Wegzug der Geflüchteten nach Ende ihrer Residenzpflicht. Hier sind Verbesserungen und neue Mobilitätskonzepte nötig, um die Chancen der Flüchtlingszuwanderung für die Entwicklung strukturschwacher Gegenden zu nutzen.
- Als eine weitere Triebfeder für die Weiterwanderung wird das Gefühl sozialer Isolation Im Gegenzug bleiben 80% der Flüchtlinge, die Verbindungen zur lokalen Gemeinschaft hatten, vor Ort wohnen.
- Als integrationsrelevante Faktoren identifizierten die Autoren unter anderem den Arbeitsmarkt, den Ausbildungsmarkt und den Wohnungsmarkt vor Ort. Letzterer sei allerdings nicht, wie es häufig geschieht, anhand der Leerstands zu bewerten. Wohnungen mit schlechter Qualität und Mehrzimmerwohnungen können den hohen Bedarf an kleinen, kostengünstigen Wohnungen für Alleinstehende nicht decken.
- Bildungsangebote und Schulen sind ein wichtiges Argument für den Zuzug, bzw. die Abwanderung für junge Geflüchtete und Familien. Eine Verbesserung der schulischen Infrastruktur in ländlichen Gebieten könnte vorhandene Institutionen auch für bereits Sesshafte bewahren und die großen Städte bei der Migration entlasten.
- Die Recherche hat ergeben, dass die Chance auf Teilhabe ist ein wichtiger Faktor für Sesshaftwerdung an einem Ort ist. Gesellschaftliche und politische Ausgrenzung führen demnach häufig dazu, dass sich Geflüchtete einen neuen Wohnort suchen.
FOLGERUNGEN
Die beiden Arbeiten geben in erster Linie Handlungsempfehlungen an Politikschaffende, aber auch für Architekten und Urbanisten ergeben sich wichtige Erkenntnisse und Angriffspunkte, wenn diese einen Beitrag zur derzeitigen Wohnsituation leisten wollen:
- Da sich die derzeit in Deutschland befindlichen Geflüchteten etwa zu 50% in dezentralen und zu 50% in zentralen Unterkünften aufhalten, ist es wichtig, gute Lösungen für beide Wohnformen zu finden und zu implementieren. Während die Zufriedenheit in zentralen Unterkünften deutlich niedriger ist, sind intelligent gewählte dezentrale Wohnungen auf lange Sicht besonders wichtig für eine gute Integration.
- Als großer Mangel wurde von allen befragten Geflüchteten das vorhandene Freizeitangebot Eine Beschäftigungsmöglichkeit innerhalb der Unterkunft zu planen, kann sehr vorteilhaft sein. Beispiele hierfür könnten eine Bibliothek, ein Gemüsegarten oder eine Werkstatt sein.
- Privatsphäre und Ruhe sind wichtig dafür, sich wohl und gut angekommen zu fühlen. Architekten von Unterkünften, aber auch Planer von Notunterkünften, sollten nach Möglichkeit beides anbieten.
- Um die Chancen der Flüchtlingszuwanderung für die Entwicklung strukturschwacher Gegenden zu nutzen sind Verbesserungen vor Ort und neue Mobilitätskonzepte nötig. Eine gute Verkehrsanbindung an das nächste Ballungsgebiet vereint die Vorteile bezahlbaren Wohnraums und Zugang zu einem aufnahmefähigen Arbeits- und Bildungsmarkt.
- Um die Nachfrage nach dezentralen Wohnraum zu decken, ist der Bau kleiner, kostengünstiger Wohnungen nötig – dort wo Wohnraum knapp und Arbeitsplätze verfügbar sind.
- Um ländlichen Raum als Wohnort für Geflüchtete zu aktivieren, ist zuerst der Ausbau des Bildungsangebotes vor Ort nötig, da Familien und junge Geflüchtete sonst Ballungsgebiete vorziehen werden.
- Besonders wichtig für eine gute Integration am Wohnort sind Möglichkeiten der Teilhabe für die Neuankömmlinge. Auch dafür kann Architektur einen Beitrag leisten. Eine Unterkunft sollte daher nicht abgeschottet von anderen Wohngebieten und vom Gewerbe eines Ortes sein. Angebote zur gemeinsamen Beschäftigung mit den Gemeindemitgliedern könnten unterkunftsnah geplant oder direkt in das Gebäude integriert werden.
VERWEIS
Beide Berichte sind kostenlos im Internet erhältlich. Zum Download, besuchen Sie bitte die folgenden Seiten:
Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration: Ankommen und Bleiben – Wohnsitzauflagen als integrationsfördernde Maßnahme? – Policy Brief
IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Überblick und erste Ergebnisse
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